Der Chirurg von Campodios by Serno Wolf

Der Chirurg von Campodios by Serno Wolf

Autor:Serno, Wolf [Serno, Wolf]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-426-41644-0
Herausgeber: Knaur eBook
veröffentlicht: 2012-04-09T22:00:00+00:00


Der schwere Flaschenzug ächzte, als Haff und Hewitt daran zogen, um die defekte Glocke anzuheben. Lange hatte der Alte überlegt, wie sie am besten zu reparieren sei, und er war schließlich zu der Überzeugung gekommen, dass es nur eine einzige Möglichkeit gab: Er musste die Glocke an ihrer Krone anheben, dann kippen und anschließend die Stelle mit der gerissenen Außenhaut ins Feuer der Esse dirigieren. Gleichzeitig war ein entsprechendes Stück Bronze zu erhitzen, das mit der richtigen Temperatur nach der Methode des Feuerschweißens eingepasst werden musste.

Die Schwierigkeit war nur, neben dem Gewicht des Glockenkörpers und der handwerklichen Probleme, dass er die genaue Zusammensetzung der Bronze nicht kannte. Die Zinnanteile beim Glockenguss schwankten zwar in der Regel nur zwischen zwanzig und zweiundzwanzig Prozent, und der Kupferanteil verhielt sich entsprechend, aber diese vergleichsweise geringen Unterschiede konnten von elementarer Bedeutung sein. Er hatte deshalb die Legierung im Kaltzustand wieder und wieder untersucht, die Farbe des Metalls studiert, die Hand darauf gelegt, gerade so, als könnte er die Zusammensetzung erfühlen, ja, er hatte sogar ein Stück Außenhaut mit der Feile abgeschrotet und die Späne einzeln untersucht, allein: Ein Zweifel war geblieben. Auch dann noch, als er sich entschlossen hatte, den mittleren Weg zu gehen und das Ausbesserungsstück mit einundzwanzigprozentigem Zinn herzustellen.

Haff blickte nach oben, wo die große Rolle des Flaschenzugs mittels einer von ihm selbst konstruierten Laufkatze seitwärts auswanderte. »Wir ziehen die Glocke erst noch ein Stück weit zum Stückofen, bevor wir sie ankippen. Hast du deinen Flaschenzug klar?«, fragte er Hewitt.

»Habe ich. Es kann losgehen.«

Gemeinsam zogen sie den schweren Metallkörper zum Schmiedefeuer. Auf ein Zeichen von Haff betätigte Hewitt die zweite Hebevorrichtung. Langsam, fast widerstrebend schob sich die offene Seite der Glocke über die Flammen.

Und dann passierte es.

Mit einem hässlichen Geräusch, das an das Kreischen der Tukane im Urwald erinnerte, zersprang das Seil von Hewitts Flaschenzug. Die Glocke, ihres vorderen Halts beraubt, schwang nach unten durch, zerschmetterte auf ihrem Weg das Gemäuer der Esse, erzeugte einen riesigen Funkenregen und riss mit ihrem Außenwulst Haff von den Beinen. Dann schwang sie zurück und wieder vor, zurück und vor … ruhig und majestätisch, als sei nie etwas geschehen.

Haff stieß, ganz gegen seine sonstige Art, einen wüsten Fluch aus. Er lag inmitten eines Haufens von Glut und Mauersteinen und starrte zu dem Metallkörper empor. Der Riss war genau über ihm. »Alles in Ordnung mit dir, Hewitt?«

»Ja, Haff.« Hewitt mit seinen jungen Beinen war es gelungen, sich mit einem gewaltigen Sprung aus der Reichweite der Glocke zu retten.

»Dem Allmächtigen sei Dank! Mit mir auch.« Haff wollte sich aufrichten und bemerkte, dass es nicht ging. Sein rechtes Bein gehorchte ihm nicht. Er blickte hin – und glaubte nicht, was er sah, denn er verspürte keinerlei Schmerz. Sein Unterschenkel stand fast im rechten Winkel ab. Um das Bein herum bildete sich rasch eine Blutlache.

Aufstöhnend ließ Haff sich zurücksinken. Wie auf ein Kommando hatte der Schmerz eingesetzt. Er fraß sich in Wellen von unten durch seinen Körper, brandete hoch und schlug mit nie gekannter Stärke über ihm zusammen. »Hol, hol … Vitus«, keuchte der Alte.



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